Tausende von Büchern – Die Geschichte der Bibliothek der Villa Hügel
Rund 3.300 Bücher stehen heute noch hinter den gläsernen Türen der Bibliotheksschränke in der Villa Hügel. Bis zu 30.000 sollen es Mitte der 1960er-Jahre insgesamt einmal gewesen sein. Wie bei jeder Sammlung ist der Anfang bescheiden. In den 1870er-Jahren weist Alfred Krupp seinen Portier an, illustrierte Zeitschriften zu sammeln und zu binden. Zu dieser Zeit ist die Bibliothek, deren Begriff aus
dem Griechischen übersetzt „Buch-Behälter“ bedeutet, an einer anderen Stelle in der Villa Hügel untergebracht. Im östlichen Gebäudeteil, im heutigen Speisesaal, hat Alfred Krupp drei Räume für die Bibliothek und einen Lesesaal vorgesehen. Mehr Platz benötigt er augenscheinlich nicht, scheint der Erbauer der Villa Hügel mehr Wert auf praktische Tätigkeiten zu legen als auf theoretische Bildung.
1880 brennt die Bibliothek von Theodor Mommsen in Berlin. In einer Notiz vom Mai 1926 hält Margarethe Krupp rückblickend fest: „Die Bibliothek [der Villa Hügel] befand sich die ersten Jahre im großen Haus u. zwar gerade unter dem Schlafzimmer Alfred Krupps. Erst nach dem Brand in der Bibliothek des Prof. Mommsen in Kiel [sic!] verlangte A.K. [Alfred Krupp] die schleunige Entfernung aus dem Hause u. zwar wurde das frühere bewohnte Landhaus [des Klosterbuschhofes] dazu umgebaut.“ Betreut wird sie zu dieser Zeit nur nebenher, von Mitarbeitern der Hügelverwaltung. Ausleihen sind nicht wirklich vorgesehen, betrachtet Alfred Krupp seine Bibliothek lediglich als Sammlung von verschiedenen Werken.
Nach dem Tod von Alfred Krupp 1887 übernehmen sein Sohn Friedrich Alfred Krupp und dessen Frau Margarethe die Geschicke in der Villa Hügel. Das Thema Bibliothek erhält eine neue Bedeutung im Hause Krupp. Friedrich Alfred und Margarethe Krupp lassen die Gesellschaftsräume im Erdgeschoss umbauen: 1889 tauschen die Bibliothek von 1873 und Speisezimmer ihre Standorte. Von diesem Zeitpunkt an ist die Bibliothek im Süden des Haupthauses untergebracht, ergänzt um den ehemaligen Erker (heute „Leseecke“), mit Terrassenzugang und herrlichem Blick in den Garten. Ein komplexes Schranksystem des Hof-Möbelfabrikanten A. Bembé aus Mainz, heute noch für Parkettarbeiten bekannt, wird in die etwa 215 m² großen Räume eingebaut. Die Firma Bembé hat auch andere Wohnräume der Villa Hügel ausgestattet, ihr Signé lässt sich noch auf vielen Schlössern wiederfinden. Alle drei Bibliotheksräume werden mit einer umlaufenden Galerie ausgestattet, die ebenfalls über eine Vielzahl, damals noch offener Regalmodule verfügt. Die vormals kunstvoll vergitterten Vitrinentüren, sind seit 1910/13 verglast. Diverse Sitzgruppen und Tischchen haben zum Verweilen eingeladen oder als Ablage für Bücher und große Folianten gedient.
Friedrich Alfred Krupp entwickelt schon früh ein sehr großes Interesse an Naturwissenschaften und Technik, das er bis zu seinem Tod beibehält. Bücher scheinen seinen stetigen Durst nach Wissen und seinen Drang, Themen zu erforschen zu stillen. Um die schulische Ausbildung seiner Töchter Bertha und Barbara so breit wie möglich aufzustellen, wird u. a. der Bibliotheksbestand um wesentliche
Wissensgebiete kontinuierlich erweitert. Der Bücherbestand wächst beträchtlich. Dennoch bleibt es weiterhin bei einer nebenamtlichen Betreuung. Anfangs sind Prof. Friedrich Fuchs, Mediziner in Bonn und Wien und der Buchhändler Hermann Bechstein zuständig. Um 1891/92 wird der Bibliotheksbestand wissenschaftlich bearbeiten und in einem gedruckten Katalog präsentiert. Von ca. 1896 bis 1902 übernimmt Friedrich Alfred Krupps Courier und zweiter Hausmeister Gustav Poser die immer anspruchsvollere Aufgabe der Bibliotheksverwaltung. Die professionelle Erfassung von Publikationen in verschiedenen Registern und Katalogen füllt eine Vollzeitstelle, damals 45 Stunden an sechs Tagen in der Woche. In Folge wird der Bibliothekar Oskar Morstadt 1902 fest angestellt, anfangs angeleitet vom Leiter der Krupp’schen Bücherhalle, Paul Ladewig. Morstadt bleibt der einzige festangestellte und ausgebildete Bibliothekar in der Hügelbibliothek. Nach seinem Ausscheiden um 1920 erfolgt die Betreuung bis 1947 wieder nebenamtlich. Dieses Mal darf sich Gustav Krupps zweiter Sekretär, Hermann Schuppener, dieser Aufgabe widmen.
Der Bibliotheksbestand hat alle nennenswerten Wissensgebiete umfasst: Angefangen von der klassischen Stahlliteratur und naturwissenschaftliche Publikationen zur Meereskunde und Tiefseeforschung aus der Zeit von Friedrich Alfred Krupp, über die klassische europäische Literaturen vornehmlich des 19. Jahrhunderts, Reiseliteratur, Militaria verfügt die Hügel-Bibliothek eine bemerkenswerte Anzahl an kunstgeschichtlichen Bänden. Aus der Zeit von Gustav Krupp von Bohlen und Halbach als Legationsrat an den Botschaften in Peking und Washington stammen eine Sammlung rarer amerikanische Drucke des 18. und 19. Jahrhunderts sowie kostbarer asiatischer Bildbände. Mit Aufkommen der Fotografie gesellen sich zahlreiche Titel aus diesem Interessengebiet hinzu.
Den Charakter der bedeutenden Privatsammlung prägen und kennzeichnen eine große Anzahl besonderer Ausgaben, großformatige, teils limitierte Auflagen, prunkvoll gebundene Editionen, oftmals mit persönlichen Widmungen der Künstler und Autoren.
Über die Zeit zwischen der Besatzung durch die Alliierten 1945, Auszug der Familie Anfang der 1950er-Jahre und der Gründung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung 1968, der jetzigen Eigentümerin der Villa Hügel, ist im Hinblick auf die Nutzung und Verwaltung der Bibliothek wenig bekannt.
Während der Besatzungszeit (1945-1952) werden zahlreiche Bücher beschlagnahmt und vernichtet („Nazi-Literatur“). Diebstähle werden ebenfalls vermutet. Im Leseeck stellen die Alliierten eine Tischtennisplatte auf.
1966 entscheidet sich Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, als letzter rechtmäßiger Eigentümer der Firma und des Privatvermögens Krupp, zu einer spektakulären Schenkung. Über 21.000 Bände wechseln im März 1966 ihren Standort und gelangen in die Universitätsbibliothek der damals neugegründeten Ruhr-Universität Bochum. Noch heute finden sich dort Bücher mit dem Exlibris der Hügel-Bibliothek.
„Bibliotheks-Räume müssen gefüllt bleiben!“ lautet eine handschriftliche Notiz von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach. U. a. bleibt Karl Marx „Das Kapital“ auf dem Hügel. Zuvor offene Regale auf der umlaufenden Galerie werden mit Holzbrettern verschlossen. Der heute noch vorhandene Restbestand ist in der Datenbank des Historischen Archiv Krupps verzeichnet. Im Archiv gibt es außerdem noch Bücher aus dem Besitz von Helene Amalie Krupp (1732-1810) und weiteren Familienmitgliedern wie Arnold Krupp (1660-1734) oder Peter Friedrich Wilhelm Krupp (1753-1795).